03 Asyl­su­chende

ein beitrag von

  • Patrice Poutrus

Abstract

Die unterschiedlichen Bezeichnungen für Menschen, die in Deutschland um Asyl nachsuchen, resultieren aus dem jeweils unterschiedlichen Schutzstatus, den das bundesdeutsche wie auch das europäische Recht Menschen auf der Flucht gewähren. Unterschieden wird dabei zwischen dem Status als asylberechtige Person nach Art. 16 A des Grundgesetzes (GG) bzw. nach § 2 des Asylgesetzes (AsylG), dem Status als ‚Flüchtling‘ nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bzw. nach § 3 AsylG sowie dem Status als subsidiär Schutzberechtigte:r nach EU-Recht bzw. § 4 AsylG. Dieses differenzierte System der Schutzgewährung für Menschen auf der Flucht ist das Ergebnis einer über Jahrzehnte andauernden juristischen, politischen und öffentlichen Auseinandersetzung um die Frage, wem in der Bonner und später in der Berliner Republik nach dem Grundgesetz Asyl gewährt werden sollte. Der Beitrag analysiert anhand der kontroversen Diskussionen um die Asylgewährung zwischen 1948 und den 1990er Jahre die sich wandelnden Begrifflichkeiten im Bereich Asyl und Flucht. Es wird gezeigt, dass sich die Begriffe, mit denen über Asyl und Flucht gesprochen wurde, zwar an den jeweils gültigen juristischen Sprachregeln orientierten. Sie waren aber auch immer politisch überformt, weil sie die entweder zustimmende oder abwehrende Positionen der jeweiligen Akteur:innen zum Ausdruck brachten.

Einlei­tung

„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Art. 16, Abs. 2, S. 2 GG) – diese 1949 vom Parlamentarischen Rat mit dem Grundgesetz verabschiedete Rechtsnorm beeindruckt durch ihre Prägnanz und Schlichtheit. Asyl meint demnach das subjektive Recht von ausländischen Staatsbürger:innen oder Staatenlosen – den Asylsuchenden –, um Schutz vor Zurückweisung an der Grenze, vor Ausweisung aus dem Bundesgebiet und vor Auslieferung in das Herkunftsland nachsuchen zu können. Damit erhielt das bundesdeutsche Asylrecht eine ‚Doppelnatur‘: Einerseits gewährte die (alte) Bundesrepublik auf der Basis ihrer Souveränität ‚politisch Verfolgten‘ auf dem eigenen Territorium Schutz vor dem verlassenen ‚Verfolgerstaat‘; andererseits erlangten ‚politisch Verfolgte‘ das subjektive und durch das Grundgesetz gesicherte Recht auf Schutzgewährung im Zufluchtsland Bundesrepublik. Hinzu kommt, dass ‚Asylberechtigte‘ – also die im Anerkennungsverfahren erfolgreichen Asylsuchenden – auf vielen Feldern, wie etwa im Arbeits-, Sozial- und Familienrecht, einen Status erhielten, der eine weitgehende Gleichbehandlung gegenüber deutschen Staatsbürger:innen zur Folge hat (Poutrus 2019b: 21f.).

Der weitreichende Schutz nach Art. 16, Abs. 2, S. 2 GG stellte sowohl in der deutschen Verfassungstradition als auch in der Praxis der Aufnahme von ‚politisch Verfolgten‘ eine außergewöhnliche Neuerung dar. Immerhin waren vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkriegs die deutschen Staaten bzw. das Deutsche Reich eher Ausgangs- und nicht Zufluchtsort für ‚politisch Verfolgte‘ in Europa gewesen. In noch viel stärkerem Maße wurde Deutschland Ausgangspunkt für Fluchtbewegungen, als unter der nationalsozialistischen Diktatur die Verfolgung von politischen Gegnern, Jüd:innen sowie von aus anderen ideologischen Gründen unerwünschten deutschen Staatsangehörigen lebensbedrohliche Ausmaße annahm.

Menschen mit sehr unterschiedlichen Fluchtgründen wurden und werden, unabhängig von ihrem Anerkennungsstatus, oft genug schlicht als Flüchtlinge bzw. Geflohene bezeichnet, was in den aufgeheizten Debatten um Flucht und Asyl bis heute immer auch zu Deutungskonflikten führt (Scherr/Scherschel 2019: 64ff.). Diese Deutungskonflikte drücken sich in einer Vielzahl von konkurrierenden Begrifflichkeiten wie ‚Antragsteller‘, ‚Asylsuchender‘, ‚Asylberechtigter‘, ‚Asylant‘ oder ‚ausländischer Flüchtling‘ aus, mit denen Menschen auf der Flucht eingeordnet, klassifiziert und bewertet werden. Waren diese Begriffe in Teilen den jeweiligen Gesetzen und bürokratischen Verfahrensordnungen entlehnt, stand die Frage nach der Benennung dieses politischen Feldes und besonders der Menschen auf der Flucht jedoch jahrzehntelang im Zentrum politisch-medialer Auseinandersetzungen über die Erwünschtheit oder Unerwünschtheit der betreffenden Menschen in der Bundesrepublik. Entsprechend drückten die historischen Akteur:innen mit dem Gebrauch bestimmter, positiv oder negativ konnotierter Begriffe entweder eine humanitäre, kritische oder eine ablehnende Haltung aus, mit der sie dem Thema Asyl und Flucht begegneten.

Die begriffsgeschichtliche Analyse dieses kontroversen und dynamischen Feldes steht vor der Herausforderung, die eigene Analysesprache so zu wählen, dass sie für die Leser:innen nachvollziehbar bleibt, sich aber auch von dem Sprachgebrauch eindeutig distanziert, mit dem die Zeitgenoss:innen das Flucht- und Asylgeschehen einordnen. Hinzu kommt, dass diejenigen, über die in diesen Auseinandersetzungen gesprochen wird, also Geflohene und Asylsuchende, jene politischen und administrativen Labels oftmals als Fremdbeschreibungen ablehnen. Das heißt, über den Gebrauch bestimmter Bezeichnungen fand und findet weiterhin eine Verortung der betroffenen Personen statt, egal ob medial, politisch oder wissenschaftlich über das Thema Asyl gesprochen wird. Im Folgenden wird für Menschen auf der Flucht der Begriff ‚Geflohene‘ benutzt, um der vielfach formulierten Kritik Rechnung zu tragen, dass der Begriff ‚Flüchtling‘ umgangssprachlich meist eine Abwertung anzeigt und Menschen auf ihre Fluchteigenschaft reduziert. Zudem verweist der Begriff ‚Geflohene‘ auf die Flucht als einen temporären Prozess, dem die Phase des Ankommens und der Nachsuche um Asyl folgt. In diesem Sinn werden Menschen, die um Asyl nachsuchen, im Folgenden als ‚Asylsuchende‘ bezeichnet, womit auf den ursprünglichen Sinn des Wortes verwiesen wird, nämlich die Suche und das Gewähren von Schutz.

Grund­ge­setz und frühe Asyl­pra­xis

Aus der vielfältigen Literatur zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes lässt sich klar entnehmen, dass die 1948 abgestimmte Form der Asylgewährung sicherlich den persönlichen Erfahrungen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates mit der NS-Diktatur bzw. im Exil geschuldet war und sich deshalb die Mütter und Väter des Grundgesetzes für eine bewusst großzügige Regelung des Asyls entschieden (Schneider 1992). So kannte das Grundgesetz in seiner Fassung vom 23. Mai 1949 ausschließlich „politisch Verfolgte“, die „Asyl“ genießen. Allerdings kamen im Parlamentarischen Rat auch bereits Einwände gegen ein uneingeschränktes Asylrecht zur Sprache. Trotz mehrfacher Interventionen von asylkritischen Parlamentarier:innen fanden diese Einwände gegen ein liberales Asylrecht für „politisch Verfolgte“ keinen Eingang in den Art. 16 GG. Dass dies so möglich wurde, ist darauf zurückzuführen, dass allen Beteiligten daran gelegen war, mit der Asyl-Norm, wie mit dem Katalog der dort verankerten Grundrechte überhaupt, einen deutlichen Schritt in Richtung Neugestaltung des deutschen Verfassungsrechts und der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu gehen (Feldkamp 2008: 78).

Dennoch war die in den Einsprüchen erkennbare latente Spannung zwischen der universellen Gültigkeit von politischen Freiheiten auf der einen Seite und den exklusiven Souveränitätsansprüchen des Nationalstaates auf der anderen Seite mit der Verabschiedung des Grundgesetzes nicht aufgehoben. Zwar war es das unbestreitbare Ergebnis der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, dass dem Wort nach ein in jeder Hinsicht offenes Asylrecht in den Verfassungstext des Grundgesetzes eingebracht wurde. Allerdings wurde der Kreis der ‚Asylberechtigten‘ darin lediglich mit zwei Worten definiert – nämlich als „politische Verfolgte“. Damit verzichtete der Parlamentarische Rat willentlich auf eine formale oder inhaltliche Abgrenzung dieses Personenkreises. Das hatte die Konsequenz, dass die Normen zur rechtswirksamen Bestimmung, wer politisch verfolgt sei bzw. welche Sachverhalte den Tatbestand der Verfolgung erfüllten, der exekutiven Praxis überlassen blieben, die ihrerseits einem permanenten Prozess höchstrichterlicher Überprüfungen unterzogen war (Marx 1988).

Damit kam (und kommt) der Ausgestaltung des Anerkennungsverfahrens für Asylsuchende eine zentrale Bedeutung zu, was dieses Verfahren – unabhängig von der Anzahl der Asylgesuche – von Beginn an zu einem bemerkenswerten Konfliktfeld innerhalb der (damals noch nicht so bezeichneten) Migrationspolitik der frühen Bundesrepublik machte. Die eigentlichen Verfahrensregeln für das bundesdeutsche Asylrecht wurden mit der Asylverordnung vom 6. Januar 1953 wirksam, also rund dreieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes selbst. Angesichts der aktuellen Nöte insbesondere der Vertriebenen galt der Bundesregierung wie ihren Fachverwaltungen die Aufnahme von Personen, die nach der Asylbestimmung des Grundgesetzes als „politisch Verfolgte“ galten oder die nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (GFK) als „Flüchtlinge“ definiert wurden, in den frühen 1950er Jahren als höchstens sekundäre Aufgabe. Deswegen wurde in der Asylverordnung, die keine parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren durchlief, kurzerhand auf die weiterhin gültigen und als ausreichend angesehenen Grundsätze der Ausländer-Polizeiverordnung vom 28. August 1938 (APVO) Bezug genommen. Diese kannte nur „Ausländer“. Sie enthielt keine asylrechtlichen Regelungen, sondern gab den zuständigen Behörden einen weitreichenden Entscheidungsspielraum bei der Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis, der sich zur Gänze an inländischen Interessen orientierte (Ausländer-Polizeiverordnung 1938: 5).1

Eine solche Rechtsgrundlage für die Asylgewährung stand dem subjektiven Recht der Asylsuchenden auf Anerkennung des persönlichen Verfolgtenschicksals diametral entgegen. Entsprechend wurden die betreffenden Personen im offiziellen Sprachgebrauch entweder lediglich als ‚Ausländer‘, ‚ausländische Flüchtlinge‘ oder ‚Antragsteller‘ bezeichnet. Asylsuchende konnten sich entweder auf die GFK berufen, woraufhin das Verfahren bei der Bundesdienststelle für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Sitz in Nürnberg-Zirndorf erfolgte. Oder sie beriefen sich auf die Asyl-Norm im Grundgesetz, dann waren allein die lokalen Ausländerpolizei-Behörden zuständig und es lag ganz in deren Ermessen, den Asylsuchenden Aufenthalt zu gewähren. Die offene Asylgarantie des Grundgesetzes trat dahinter deutlich zurück, weil in der frühesten Periode die Asylpraxis nach Asylverordnung mehr einer Abwehr als einer Gewährung von Asyl diente (Otto-Benecke-Stiftung 1976).

Es stand also nicht die Anerkennung von Fluchtgründen bzw. Verfolgungstatbestände im Fokus von institutionellem Handeln und der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern die – grundsätzlich als problematisch angesehene – sogenannte Ausländereigenschaft der Asylsuchenden. Entsprechend waren der öffentliche und der institutionelle Flüchtlingsbegriff noch ganz geprägt von den Entwicklungen der unmittelbaren Nachkriegszeit: Mit ‚Flüchtlingen‘ waren überwiegend deutsche Staatsangehörige oder dem deutschen Volk als zugehörig angesehene ausländische Staatsbürger:innen gemeint (Ackermann 1990); aber einen eigenen Begriff für Asylsuchende, also „politisch Verfolgte“ oder „Flüchtlinge“ aus dem Ausland, wie sie das Grundgesetz und die GFK definierten, gab es nicht.

Neue Libe­ra­li­tät und alte Wider­stände

Gleichwohl zeichnete sich im Rahmen des Kalten Krieges in Europa und insbesondere in der Folge der 1956 niedergeschlagenen Revolution in Ungarn und des Prager Frühlings 1968 in der ČSSR ein Wandel der Asylpraxis gegenüber Geflohenen aus den Staaten des sowjetischen Herrschaftsbereichs ab. Dieser zeigte sich auch in einem veränderten Sprachgebrauch, der im Kern auf einer Ausdifferenzierung der Begrifflichkeiten beruhte, und ging einher mit Reaktionen aus der westdeutschen Gesellschaft, die im Jahr 2015 ‚Willkommenskultur‘ genannt worden wären. Jedoch blieb in der Exekutive der Bundesrepublik die Spannung erhalten zwischen einer situativ vorhandenen Aufnahmebereitschaft für ‚politisch Verfolgte‘ in dieser Periode und der fortwährenden Abwehrhaltung gegenüber Personen, die womöglich Asyl beantragen könnten – eine Spannung, die sich auch in öffentlichen Debatten niederschlug. Sie schlug sich insbesondere in den Bestimmungen des 1965 verabschiedeten Ausländergesetzes nieder, das die Ausländerpolizeiverordnung durch ein liberaleres ‚Ausländerrecht‘ ablöste und im Abschnitt 4 die Asylverordnung von 1953 ersetzte. Auf die hier neu geregelten Bestimmungen lässt sich die von Karin Hunn und Ulrich Herbert gewählte Formulierung für die Ausrichtung der frühen bundesdeutschen Asyl- und Flüchtlingspolitik anwenden: „so liberal wie nötig und so restriktiv wie möglich“ (Herbert/Hunn 2006: 791). Zwar wollten die Bundestagsabgeordneten mit der Ablösung des Ausländer-Polizeigesetzes von 1938 eine symbolische Distanzierung von der diskriminierenden Rechtspraxis gegenüber ‚Ausländern‘ demonstrieren, doch konnten sie sich zu einem uneingeschränkten Vorrang der Verfassungsbestimmung zur Asylgewährung nicht durchringen.

Begrifflich bedeutete das neue Gesetz eine Erweiterung des sprachlichen Repertoires. Neben die bereits etablierten Begriffe ‚Ausländer‘, ‚Antragsteller‘, ausländischer Flüchtling‘ und ‚politisch Verfolgter‘ trat nun der des „Asylberechtigten“, mit dem eine Person bezeichnet wurde, deren Ansuchen um Asyl in Form einer Aufenthaltsgenehmigung als berechtigt anerkannt wurde. Auf der Ebene der Verwaltung vereinheitlichte das Gesetz das Anerkennungsverfahren, das seitdem ausschließlich über die in Nürnberg-Zirndorf zum Bundesamt aufgewertete Bundesstelle für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgewickelt wird. Schließlich verankerte das Ausländergesetz auch das Prinzip der Duldung von abgelehnten ‚Antragstellern‘, um diese vor einer aus humanitären oder politischen Gründen nicht geboten erscheinenden Abschiebung zu bewahren. Damit erhielten insbesondere Geflohene aus den kommunistischen Staaten Osteuropas ein gewisses Maß an Schutz vor Auslieferung in ihre Herkunftsländer, denn dort galt oft genug schon der Fluchtversuch selbst als schwere Straftat. Das hinter der neuen Regelung des Asylverfahrens verborgene Problem der „Verfolgungstatbestände“ – die darüber entschieden, ob ein ‚Antragsteller‘ als ‚Asylberechtigter‘ anerkannt wurde – blieb jedoch ungeklärt. Dieses fortbestehende Defizit sollte zu langwierigen Anerkennungsverfahren führen, da auch weiterhin nicht allein die Formulierung des Grundgesetzes, sondern gleichermaßen die Genfer Flüchtlingskonvention mit der darin enthaltenen Einschränkung des Abschiebeschutzes als der entscheidende Maßstab galt (Franz 1966). Es oblag somit weiterhin im Ermessen von Beamt:innen der bundesdeutschen Exekutive, ob jemand als ‚asylberechtigt‘ angesehen wurde oder nicht.

Dennoch galten die Regelungen des neuen Ausländerrechtes insbesondere führenden Politiker:innen und Innenbehörden in Bayern als Türöffner für eine von ihnen schon in den 1960er Jahren befürchtete „Flüchtlingsschwemme“,2 weil die bayerische Staatsregierung mutmaßte, dass sich das Asylrecht in Zukunft nicht mehr so strikt beschränken lassen würde, wie sie sich das wünschte. In der Folge nahm sie in allen Asylfragen einen besonders restriktiven Standpunkt ein, angefangen mit der grundsätzlichen Infragestellung jeglicher gesetzlicher Regelung des Asyls bis hin zur präventiven Abwehr von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen. Damit waren schon Mitte der 1960er Jahre die Missbrauchs-, Belastungs- und Gefahrenargumentationen im Zusammenhang mit der Gewährung von Asyl in den Institutionen der Bundesrepublik etabliert, auch wenn diese Topoi erst in der Asyldebatte der 1980er Jahren den westdeutschen Migrationsdiskurs beherrschen sollten (Wengeler 2003).

Aber bereits am Ende der 1960er Jahre war das Ziel einer möglichst weitreichenden Beschränkung des Asylrechts in der bundesdeutschen Rechtslehre hoch umstritten und galt vielen zunehmend als verfassungswidrig (Kimminich 1968). Dementsprechend mehrten sich, parallel zu den öffentlichen Debatten um die Aufnahme von Geflohenen aus den kommunistischen Diktaturen Ostmitteleuropas, die Entscheidungen von angerufenen Bundesgerichten, die einer restriktiven Aufnahmepolitik bzw. einer exklusiven Gewährung von Asyl immer stärker entgegentraten (Schüler/Wirz 1971). In diesen Verfahren hatten wiederholt Asylsuchende, unterstützt von Anwaltsvereinigungen und anderen Nichtregierungsorganisationen, gegen die Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge geklagt und dadurch letztlich dazu beigetragen, dass die Asyl-Norm des Grundgesetzes auch in der Asylpraxis nach und nach zur Anwendung gebracht wurde.

Während aus der Perspektive einer sich allmählich liberalisierenden Asylpraxis die Aufnahme ungarischer und tschechoslowakischer Asylsuchender für die überwiegend antikommunistische Ausrichtung der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik im Rahmen des ‚Ost-West-Konfliktes‘“ steht, kann die politische Auseinandersetzung um die Gewährung von Asyl für ‚politisch Verfolgte‘ der chilenischen Militär-Diktatur in den Jahren 1974 und 1975 als eine Tendenz zur Universalisierung des Flüchtlingsschutzes angesehen werden. Im Grunde ging es in diesen Auseinandersetzungen um die Frage, ob auch Kommunist:innen Zuflucht in der Bundesrepublik gewährt werden sollte, inwieweit sie also als „politisch Verfolgte“ zugleich „Asylberechtigte“ wären. Es spricht für die innere Stabilität und den Wandel der politischen Kultur der Bundesrepublik, dass dieser Konflikt zugunsten der chilenischen Asylsuchenden entschieden wurde und letztlich keine Auswahl entlang ihrer politischen Gesinnung erfolgte (Poutrus 2019a). In diesem Umfeld entschied das Bundesverwaltungsgericht 1975, dass das Asylrecht nach Art. 16, Abs. 2, S. 2 GG keine immanenten Schranken habe. Damit wurde höchstrichterlich anerkannt, dass ‚Asylberechtigte‘ Träger:innen dieses Grundrechtes sind und ihnen die sogenannte Ausländereigenschaft insbesondere im Anerkennungsverfahren nicht zum Nachteil gereichen dürfe. Nicht die Interessen des Staates – insbesondere staatliche Sicherheitsbedürfnisse – sollten über die Gewährung von Asyl in der Bundesrepublik entscheiden, sondern allein die politische Verfolgung des um Asyl nachsuchenden ‚Antragstellers‘ (Münch 1993: 103). Damit entsprach die bundesdeutsche Rechtsprechung erst mehr als 25 Jahre nach der Verankerung des Rechts auf Asyl im Grundgesetz den ausdrücklich großzügigen Intentionen der Mütter und Väter des Grundgesetzes. Zudem verdeutlicht das bemerkenswerte Urteil von 1975 schlaglichtartig, dass es immer wieder Geflohene waren, die – mit durchaus wechselndem Erfolg – vor bundesdeutschen Gerichten um ihre Rechte stritten.

In einer sich wandeln­den Welt: das bundes­deut­sche Asyl­recht als gesell­schaft­li­cher Konflikt­punkt

Allerdings war mit der geschilderten Entwicklung der Konflikt um eine grundsätzlich geschützte und ungehinderte Aufnahme von Asylsuchenden nicht beendet, denn eine derart generöse Asylgewährung musste fast zwangsläufig in Kollision mit der in der alten wie der neuen Bundesrepublik vorherrschenden restriktiven Migrationspolitik geraten. Dieser Konflikt manifestierte sich unter anderem in einer scharfen Auseinandersetzung um die Begriffe, mit denen Geflohene, die in der Bundesrepublik um Asyl ersuchten, beschrieben, eingeordnet sowie politisch, medial und öffentlich bewertet wurden. Schien das Begriffsfeld ‚Asyl‘ Mitte der 1970er Jahre im Einklang mit den Grundwerten des Grundgesetzes zu stehen, änderte sich das schlagartig in den erhitzten und bisweilen menschenverachtenden Debatten der 1980er Jahre.

Bedeutsam für die weitere Entwicklung war die von der sozialliberalen Bundesregierung 1973 auf dem Feld der Arbeitsmigration vollzogene Wende von der aktiven Anwerbung zur restriktiven Zuwanderungsbeschränkung, denn damit wurde das Asyl für nichtdeutsche Migrant:innen zum einzig möglichen Zugangsweg nach Westdeutschland. Dies ging einher mit einem allgemeinen Wandel des Wanderungsgeschehens nach (West-)Europa. Durch moderne Kommunikations- und Transportmittel erreichten nicht nur die Nachrichten über Konflikte in allen Teilen der Welt die Haushalte der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft; nun besaßen auch die Menschen aus diesen Regionen zumindest die theoretische Möglichkeit, in der Bundesrepublik um Asyl nachzusuchen.

Der mehrdimensionale Wandel der Migrationsverhältnisse manifestierte sich für die bundesdeutsche Politik und Öffentlichkeit in einem zentralen Punkt: dem kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Asylsuchenden. Bis zum Beginn der 1970er Jahre hatten jährlich zwischen 2.500 und 5.600 Personen einen Asylantrag in der Bundesrepublik gestellt. Lediglich in den Jahren nach dem Prager Frühling, also 1969 bzw. 1970, lagen die Zahlen deutlich über diesen Werten. Im Jahr 1976 stieg die Zahl der Anträge erstmals über 10.000 und bereits 1980 sogar erstmals über 100.000. Zugleich änderte sich auch die Herkunftsstruktur der ‚Antragsteller‘. Bis zum Beginn der 1970er Jahre stellten hauptsächlich Personen aus den kommunistischen Diktaturen Ostmittel-, Südost- und Osteuropas Anträge auf Asyl. So stammten im Jahr 1963 ca. 95 Prozent aller Asylsuchenden aus der ČSSR, Jugoslawien und Ungarn. Der Anteil der sogenannten Ostblockflüchtlinge ging in den frühen 1970er Jahren in dem Maße zurück, in dem die Gesamtzahl der Asylsuchenden anstieg und sich der Anteil nichteuropäischer Flüchtlinge erhöhte. So kamen im Jahr 1975 nur noch ca. 25 Prozent der Asylsuchenden aus dem östlichen Europa (Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge 1998: 8). Auch wenn sich dieser demografische Trend unter den ‚neuen Asylsuchenden‘ während der späten 1980er Jahre und in der ersten Hälfte der 1990er zeitweise – wie auch gegenwärtig – umkehrte, so dominiert bis heute das Bild von außereuropäischen Migrant:innen die Wahrnehmung der bundesdeutschen Öffentlichkeit (Poutrus 2017).

Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung wandelte sich die Flüchtlings- und Asylpolitik ab den späten 1970er Jahren von einem Expert:innen- und Jurist:innenthema zu einem zentralen Gegenstand der bundesdeutschen Innenpolitik. Begrifflich manifestierte sich dieser Wandel in den beiden Schlagwörtern ‚Asylfrage‘ und ‚Asylbewerber‘, in denen die hitzigen und kontroversen Debatten ihre politische und öffentlichkeitswirksame Zuspitzung fanden. Während der Begriff ‚Asylfrage‘ die steigende Zahl von Asylgesuchen als gesellschaftliches Problem markierte, kam der Begriff ‚Asylbewerber‘ aus der bundesdeutschen Amtssprache, die damit die Asylsuchenden bezeichnete. Durch ihre starke Stellung in den Ländern und bestärkt durch das eher zurückhaltende bis zögerliche Vorgehen der sozialliberalen Bundesregierung in der Migrationspolitik vermochte die oppositionelle CDU Profil zu gewinnen, indem sie der Regierungskoalition Untätigkeit vorwarf und das Thema Asyl bzw. die ‚Asylfrage‘ zunehmend skandalisierte. Von 1978 bis 1993 führten die unbedingten Versuche der bundesdeutschen Politik, auf das sich wandelnde Migrationsgeschehen mit restriktiven Maßnahmen zu reagieren, zu insgesamt 17 größeren Gesetzesänderungen bzw. rechtswirksamen Beschlüssen der Innenministerkonferenz und der Bundesregierung. Eine Hauptursache für diese Regelungsflut lag darin begründet, dass auch unter der ab Oktober 1982 regierenden CDU die Zahl der Asylsuchenden nur temporär zurückging und aufgrund der politischen Veränderungen in Osteuropa Ende der 1980er Jahre Jahr für Jahr die Marke von 100.000 überstieg (Poutrus 2019b: 61ff.).

Die außerordentliche Mobilisierung der politischen Öffentlichkeit beim Thema Asyl von den späten 1970er bis in die frühen 1990er Jahre erklärt sich nicht allein aus den bedauernswerten Schicksalen der vielen Asylsuchenden oder aus den mit der Aufnahme verbundenen Herausforderungen für einen Sozialstaat, der ohnehin an seine Grenzen zu stoßen meinte. Vielmehr war die Flüchtlings- und Asylpolitik immer auch mit fundamentalen Fragen nach den politisch-moralischen Grundlagen der bundesrepublikanischen Gesellschaft verbunden: Für die einen stellte eine offene Flüchtlings- und Asylpolitik eine Garantie für die grundsätzliche Abkehr von einer rassistisch geprägten Vergangenheit, insbesondere vom Nationalsozialismus, dar. Für die anderen war eine solche Position undenkbar, weil sie einen Bruch mit dem Paradigma des ‚Nichteinwanderungslandes‘ bedeutet hätte und als ein Aufgeben der historischen, kulturellen und ethnischen Identität der Deutschen verstanden wurde.

Die Verteidiger:innen dieser identitätspolitischen Tradition konnten sich in der bundesdeutschen Öffentlichkeit darauf verlassen, dass ihre Position von den Massenblättern des Axel-Springer-Verlags gestützt und gefördert wurde. Jenseits der Tatsachen wurde dort eine allgemeine Gefahr für das deutsche Gemeinwesen herbeigeschrieben und deshalb jegliche journalistische Verantwortung und sprachliche Zurückhaltung hinter sich gelassen (Herbert 2014: 92f.). Dabei wurde der Begriff des ‚Asylanten‘ zu einem universellen Label für alle abzulehnenden Entwicklungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Asyl im Besonderen und transnationaler Migration im Allgemeinen. Häufig wurde das Wort mit bedrohlichen Naturmetaphern zu ‚Asylantenflut‘ oder auch ‚Asylantenschwemme‘ kombiniert. In ähnlich dramatisierender bzw. diffamierender Absicht wurden Asylsuchende auch als ‚Asylbetrüger‘ und ‚Asylschwindler‘ bezeichnet, was die Assoziationen zu ähnlich negativen Substantiven wie ‚Bummelant‘, ‚Querulant‘ und ‚Simulant‘ nahelegte. Dabei gehörte es zur Besonderheit dieses radikalisierten Sprachgebrauchs, dass das Wort ‚Asylant‘, das anfänglich eher in rechtsradikalen Medien auftauchte, seinen Weg nicht nur in die Boulevardpresse, sondern auch in parlamentarische Debatten und Behördendokumente fand (Jäger/Link 1993). Es war aber weder in der sogenannten Asyldebatte der 1980er und frühen 1990er Jahren noch in der Folgezeit so, dass es in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit einen Mangel an Wissen über Fluchtmotive und -ursachen innerhalb Europas und in den Nachbarkontinenten Asien und Afrika gab. Dieses Wissen wurde aber in der Hauptsache dazu benutzt, Überwältigungsszenarien zu zeichnen, um damit eine restriktive Asyl- und Einwanderungspolitik als vermeintlich einziges realistisches Gegenmittel zu rechtfertigen. Gänzlich unberücksichtigt blieb bei diesen Bedrohungs- und Krisenszenarien, dass Europa und Deutschland schon seit den 1970er Jahren Zielregion für Geflohene aus den kontinentalen Nachbarregionen war, die ganz überwiegende Zahl von Geflohenen jedoch innerhalb der Krisenregionen selbst um Schutz und Asyl nachsuchte. Somit blieb (und bleibt) es immer wieder Aktivist:innen und NGOs vorbehalten, darauf hinzuweisen, dass an diesen außereuropäischen Orten ein tatsächlich nachhaltiger Ansatz zum Umgang mit den globalen Fluchtproblemen gefunden werden müsste (Gatrell 2013: 199ff.). Hingegen führte die Tatsache, dass es trotz der erheblichen Aufwendungen für die Abwehr von Geflohenen und Asylsuchenden jedes Jahr doch zehntausende Menschen auf legalem wie illegalem Weg möglich wurde, in das Asylverfahren einzutreten, zu einer politischen Rhetorik, die das Stellen eines Asylantrags quasi mit organisierter Kriminalität in eins setzte (Bade 2015).

Fazit

Auch wegen der rassistischen Mordanschläge in den frühen 1990er Jahren und der anhaltenden wissenschaftlichen Kritik trat der letztlich herabwürdigende Ausdruck ‚Asylant‘ in der Folgezeit in den bundesdeutschen Medien weitgehend in den Hintergrund. Zugleich bzw. wohl auch in Reaktion auf die geschilderte sprachliche Verrohung sowie in Anlehnung an den englischsprachigen Begriff asylum seeker wurden seit den 1980er Jahren in der deutschsprachigen sozial- und kulturwissenschaftlichen Literatur zu Flucht und Asyl und in einer für den Flüchtlingsschutz engagierten Öffentlichkeit Personen, die auf der Flucht vor erfahrener bzw. befürchteter politischer, religiöser oder sonstiger Verfolgung ihr Herkunftsland verlassen mussten und in einem anderen Staat um Asyl nachsuchen, als Asylsuchende bezeichnet. Allerdings überwiegt in der rechts- und politikwissenschaftlichen Literatur weiterhin die Bezeichnung ‚Asylbewerber‘ und in den asylskeptischen bzw. asylfeindlichen Medien wird weiterhin das Label ‚Asylant‘ verwendet (Hailbronner 2008; Goebel 2017). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bemüht sich in seinen jüngeren Publikationen darum, den Begriff Asylsuchende:r ganz auf Personen zu begrenzen, die beabsichtigen, einen Asylantrag zu stellen und noch nicht als Asylantragstellende beim Bundesamt erfasst sind (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2021). So wird oft schon am spezifischen Sprachgebrauch im Kontext von Flucht und Asyl deutlich, welche Position die jeweiligen Sprecher:innen dazu einnehmen. Allerdings zeigen jüngere Studien, dass die sich wandelnde Begrifflichkeit nicht dazu beiträgt, den grundsätzlichen Gegensatz zwischen den Befürworter:innen eines humanitär begründeten Asylrechts und seinen Gegner:innen zu überwinden.

Lite­ra­tur

Zum Weiterlesen

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Fußno­ten

  1. 1

    In der betreffenden Dienstanweisung heißt es sogar: „Der Ausländer hat kein Recht zum Aufenthalt im Reichsgebiet“.

  2. 2

    Bayerisches Staatsministerium des Inneren an Bundesministerium des Inneren, betr.: Fremdenrecht, Umgang mit Schranken des Asylrechts, 12.5.1964, Bundesarchiv, B 106, Nr. 39962, o. Bl.

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