Einleitung
„I’m running out of ethnic friends.“
The Moldy Peaches
Das Konzept der ‚Ethnizität‘ ist auf den altgriechischen Begriff éthnos zurückzuführen, der die Zugehörigkeit zu einem Volk in der Außenperspektive bestimmte. Diese Fremdzuweisung verdeutlicht das Othering, das dem Konzept anhaftet, denn „‚Ethnisch‘ sind immer die anderen“ (Timm 2000: 364; vgl. auch Jenkins 1997: 14). Eine Recherche nach frühen Verwendungen von ‚Ethnizität‘ in gängigen Nachschlagewerken führt lediglich zu verwandten Einträgen, u.a. mit dem gleichen Wortstamm. So verweist Herders Konversationslexikon von 1854 auf das Adjektiv ‚ethnisch‘ als heidnisch; Meyers Großes Konversationslexikon von 1905 auf ‚Ethnizismus‘ als den Glauben an mehrere Götter und auf die Ethnologie, die als vergleichende Völkerkunde die Verschiedenheiten in den Kulturverhältnissen der Menschen erforscht. Schließlich definiert der Brockhaus ‚Ethnizität‘ als „in den 1960er-Jahren entstandener Begriff für die Entwicklung von kultureller Abgrenzung einzelner Bevölkerungsgruppen innerhalb von Staaten und darüber hinaus.“ (Brockhaus Online Enzyklopädie 2022). Der Begriff, so heißt es dort, erfahre seine Verbreitung im deutschsprachigen Raum durch die wissenschaftliche Erkenntnis, dass ‚ethnische Zugehörigkeit‘ in den Aufnahmestaaten internationaler Migration weiterhin eine bedeutende Differenzkategorie darstelle. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand ‚Ethnizität‘ (im Folgenden gemeinsam mit den Begriffen ‚ethnische Gruppe‘, ‚Ethnie‘ und ‚ethnisch‘ betrachtet) also Eingang in breitere politische Debatten und ersetzte zunehmend den für die nationalsozialistische Ideologie zentralen Begriff der ‚Rasse‘. Die deutlichste Konjunktur im politischen Sprachgebrauch erfuhr der Begriff ‚ethnisch‘ jedoch in den späten 1990er Jahren in Bundestagsdebatten über den Nato-Einsatz im Kosovo als Reaktion auf die dort gewaltvoll ausgetragenen „ethnischen Konflikte“ (Deutscher Bundestag, o.J.). Dies bestätigt eine Recherche im Google Books Ngram Viewer, die für den deutschsprachigen Google-Books-Korpus von 1945 bis 2012 Konjunkturen des Begriffsfeldes in den 1990er Jahren ergibt. So zeigt sich eine weitaus häufigere Verwendung des Adjektivs im Gegensatz zu den zugehörigen Substantiven ‚Ethnie‘ und ‚Ethnizität‘ (Abb. 1).
Abb. 1: Verwendung der Begriffe ‚ethnisch‘, ‚Ethnizität‘ und ‚Ethnie‘ von 1945-2012, Google Ngram Viewer (Zugriff: 14.09.2022).
In der politischen Praxis dient der Begriff ‚ethnisch‘ weiterhin als Kategorie im Antidiskriminierungsrecht, das „Ungleichbehandlung aufgrund der ethnischen Herkunft oder aus rassistischen Gründen“ verbietet (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2022). Migrantische Selbstorganisationen in Deutschland bemängeln jedoch, dass als Grundlage zur Bekämpfung rassistischer Diskriminierung eine Statistik zur ‚ethnischen Herkunft‘ geführt werden müsse, wie es in Großbritannien, Kanada oder den USA gehandhabt werde. Im deutschsprachigen Raum ist das Begriffsfeld kaum alltagssprachlich verankert. Lediglich zeitweise und partikular wurde und wird es im politischen Kontext verwendet. Anders verhält es sich in den USA. Dort bezeichnet das Konzept seit Ende des Zweiten Weltkrieges gesellschaftlich marginalisierte Gruppen und hat Eingang in einen breiteren Sprachgebrauch gefunden (Nally 2009; Glazer/Moynihan 1963: 4f.).
Auf der Grundlage dieser Schlaglichter auf die Begriffsverwendung soll im Folgenden eine Auseinandersetzung mit dem Begriffsfeld aus der Perspektive der Migrationsforschung vorgenommen werden. Darin wird zunächst von der wissenschaftlichen Debatte um ‚ethnische Gruppen‘ ausgegangen, um anschließend ausgewählte angrenzende Konzepte von Kultur und ‚Rasse‘ näher zu betrachten. Daran anknüpfend wird das für die sozialwissenschaftliche Migrationsforschung zentrale Konzept der ‚ethnischen Grenzziehungen‘ vorgestellt. Beschlossen wird der Beitrag mit Blick auf ein konkretes Anwendungsfeld: die Forschung über sogenannte ‚ethnische Ökonomien‘. Damit soll gezeigt werden, dass sich die Bedeutung des Begriffsfeldes sowohl in der deutsch- und englischsprachigen Verwendung als auch im alltagssprachlichen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch grundlegend unterscheidet.