Einleitung
Aufgrund des ‚Asylparadoxes‘, durch das Flüchtende gezwungen sind, illegal in ein Land einzureisen, um dort ordnungsgemäß einen Asylantrag stellen zu können, sind Schutzsuchende zu einem Großteil auf Fluchthilfe angewiesen. Der besondere Unterstützungsbedarf bei der Flucht und der Dienstleistungsmarkt Fluchthilfe sind überhaupt erst geschaffen worden, da die Staaten des Globalen Nordens kaum legale Einreise- und Durchreisewege für Geflüchtete eröffnet bzw. bestehende geschlossen haben. Während in hegemonialen Diskursen negativ konnotierte Begriffe von Schlepperei/Schleuserei dominieren, wird der Fluchthilfebegriff meist auf historische Akte bezogen, vermehrt aber auch gezielt zur Bezeichnung gegenwärtiger Fluchthilfepraktiken herangezogen, um diese in ein anderes Licht zu rücken und zu legitimieren. Was aber als Fluchthilfe bzw. Schlepperei/Schleuserei zählt, wird bislang weniger wissenschaftlich diskutiert, sondern ist vor allem Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und eng mit politischen Konjunkturen, Machtverhältnissen und dem rechtlichen Kontext verbunden. In diesem Beitrag möchten wir daher aufzeigen, wie Praktiken der Fluchthilfe in unterschiedlichen Zusammenhängen beschrieben, bezeichnet und beurteilt werden. Hierzu gehen wir zunächst von einem weiten Fluchthilfebegriff aus. 1
‚Fluchthilfe‘ bezeichnet das unterstützende Handeln von Individuen oder Gruppen gegenüber Menschen vor, während und nach deren Flucht, insbesondere aber die Unterstützung (oftmals illegalisierter) grenzüberschreitender Mobilität (Bellezza/Calandrino 2017; Anderl/Usaty 2016). Diese Unterstützung umfasst unter anderem das Teilen von Informationen, die Organisation von Reise- und Identifikationsdokumenten, die Bezahlung von Grenzbeamt:innen, die Verpflegung und Unterbringung von Menschen auf der Flucht, den Transport, die Unterstützung beim Grenzübertritt und anderweitige Öffnungen von Fluchtwegen. Ob die Unterstützung beim Aufenthalt in einem Ankunftsland, etwa durch versteckte Unterbringung zum Schutz vor Abschiebung, oder einen Aufenthalt sichernde Eheschließungen als Teil von Fluchthilfe zu verstehen sind, hängt mit der Frage zusammen, wann Flucht aufhört und internationaler Schutz erreicht wird bzw. auf welche Weise Grenzregime innerstaatlich fortwirken. Fluchthilfe findet wegen ihrer Kriminalisierung, aber auch zum Schutz der Flüchtenden vor allem klandestin statt. Die Dienstleistung wird zumeist wissentlich und aktiv erbracht, teils aber auch unwissentlich, wie einige Schlepperei/Schleuserei-Prozesse mit Anklagen wegen grenzüberschreitender Mitfahrgemeinschaften, Taxifahrten oder tageweiser Vermietung von Wohnungen an Flüchtende zeigen. Die genannten Aktivitäten können gegen Entgelt, andere Leistungen oder ohne Gegenleistungen erbracht werden und humanitär, familiär, freundschaftlich, aktivistisch oder kommerziell motiviert und organisiert sein. Angesichts viktimisierender Diskurse ist es zentral, die Agency von Flüchtenden hervorzuheben, die Dienstleistungen der Fluchthilfe meist gezielt im Rahmen ihrer Fluchtprojekte nachfragen, wobei Fluchthelfer:innen oft selbst (ehemalige) Geflüchtete sind.