Gheddo reloaded: Einleitung
„Du kriegst mich aus’m Ghetto, doch das Ghetto nicht aus mir“, heißt es bei dem Rapper Eko Fresh, der in seinen Texten immer wieder Köln-Kalk als sein Gheddo, seine Hood, seine Branx bezeichnet. Und der in der Berliner Großsiedlung Märkisches Viertel aufgewachsene Sido kontert: „Aufgewachsen zwischen Dreck und Beton/Ja, auch ich bin aus’m Ghetto gekomm.“ 1 Tatsächlich gehören der Verweis auf die eigene ‚Ghetto'-Herkunft und der Vergleich mit Vierteln wie dem New Yorker Stadtteil Harlem zum gängigen Repertoire deutscher Rapper:innen. Die Feier der eigenen ‚Ghetto'-Herkunft ist Teil ihrer urbanen Anerkennungskämpfe, weil nicht nur die Stilisierung als Gangsta oder Underdog, sondern auch das Aufwachsen in einem verrufenen Viertel im Rap subkulturelles Potenzial besitzt.
Allerdings dienen ‚Ghetto‘ und ‚Ghettoisierung‘ mittlerweile weit über den Rap hinaus als Codewörter für schlechte Wohnbedingungen und Armut – und insgesamt für die Wohnverhältnisse von Menschen, die als migrantisch, ethnisch oder ‚rassisch' anders eingeordnet werden. Dabei stand ‚das Ghetto‘ noch Mitte des 20. Jahrhunderts für einen primär jüdischen Ort, der von der langen Geschichte einer antijüdisch oder antisemitisch begründeten Separierung jüdischer Haushalte zeugte. Doch wandelte sich der Gebrauch des Begriffs in Deutschland am Übergang zu den 1970er Jahren just in dem Moment, als stadtpolitische Akteur:innen im engen Zusammenspiel mit einer erstarkenden Migrationsforschung Migration als eine urbane Tatsache zu entdecken begannen, die politische Aufmerksamkeit erforderte. Ebenso wie ‚Segregation‘, ‚Ausländeranteil‘, ‚Migrantenviertel‘ oder ‚No-Go-Area‘ wurden ‚Ghetto‘ und ‚Ghettoisierung‘ einem ganzen Begriffsfeld zugeordnet, mittels dessen in Stadtpolitik, Sozialforschung und einer weiteren Öffentlichkeit migrantisch geprägte Wohnviertel besprochen (und abgewertet) wurden.
Die Warnung vor der Entstehung von ‚Ghettos‘ in deutschen Großstädten ist aktuell nicht mehr ganz so häufig zu hören wie noch vor fünfzig Jahren. Sie taucht hin und wieder auf, ist aber tendenziell anderen (eng verwandten) Formulierungen wie der Warnung vor ‚No-Go-Areas‘ und ‚Vierteln mit hohem Ausländeranteil‘ gewichen. Doch lohnt es sich zu verstehen, auf welche Weise ‚Ghetto‘ und ‚Ghettoisierung‘ zu migrationsbezogenen Begriffen wurden, weil die Warnung vor ‚Ghettos‘ in der Bundesrepublik eine zentrale stadtpolitische Leitlinie zu etablieren half. Diese Leitlinie prägt politische Entscheidungen bis heute: die Annahme nämlich, dass Konzentration Desintegration bedeutet, dass also das enge Beieinanderwohnen von als nicht-deutsch eingeordneten Haushalten ein Problem darstellt, das politische Lösungen erfordert.
Um den vielfältigen Konflikten nachzuspüren, die mit der wachsenden Diversität deutscher Großstädte verknüpft sind, gehe ich im Folgenden zunächst auf die Etablierung der migrationsbezogenen Rede von ‚Ghettos‘, ‚Ghettoisierung‘ und ‚Segregation‘ in Stadtpolitik, Sozialwissenschaft und Medien ein. Ich diskutiere, welche Effekte der häufige Bezug auf die USA in diesem Rahmen hatte, um anschließend auf Ausläufer und Aktualisierungen der ‚Ghettopanik‘ und deren Kritik in zeitgenössischen politischen, wissenschaftlichen und aktivistischen Debatten einzugehen.