Einleitung
„Es entstehen unter den neuen Bedingungen reale Optionen für Europa. In diesem Zusammenhang kann man sachlich und ohne Panikmache von der Verwandlung von der islamischen Herausforderung an Europa in eine Bedrohung durch eine graduelle Islamisierung durch den Kopftuchislam sprechen.“
Bassam Tibi (2016: 13)
Wenn hierzulande gegenwärtig das Schlagwort Islamisierung fällt, so ausschließlich polemisch und negativ. Popularisiert wurde der Begriff in jüngerer Zeit vor allem mit der Pegida-Bewegung (‚Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes‘). Knotenpunkt dieser Wutbewegung war die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ von 2015. Hier war vor allem das Bild von geflüchteten Menschen als Treiber:innen einer islamischen Invasion im Umlauf. Mit den Wahlerfolgen der Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat dieser Diskurs zugleich einen Platz im politischen Establishment erhalten.
Die Warnung vor einer Islamisierung gehört dabei zum grundständigen Diskursrepertoire verschwörungstheoretischer Vorstellungen. Die Botschaft lautet: Durch übermäßige Vermehrung, Wanderung und gesellschaftliche Infiltration haben sich Muslim:innen aller Länder verabredet, schleichend oder mit Schwertern eine weltweite Islamisierung voranzutreiben. Islamisierung steht hier für alles Böse, das von außen in eine vormals intakte, homogene und ‚gesunde‘ Gesellschaft eindringt. Dem liegt ein rassistisches Weltverständnis zugrunde: Vermischungen jeglicher Art gelten als Verunreinigung der Kultur, der Religion oder auch des Blutes. Völkisch-rassistisch geht es immer dann zu, sobald Islamisierung mit ‚Umvolkung‘ oder ‚Überfremdung‘ gleichgesetzt wird. Hier rauscht die Islamisierung wie eine Art Naturgewalt über die Welt hinweg, um sich nach und nach tief in politischen Institutionen und gesellschaftlichen Sphären einzunisten. Als Prozessbegriff umschreibt Islamisierung somit ein Geschehen, das noch nicht vollzogen, aber in Gang gesetzt worden ist. In dieser zeitlichen Dimension verweist Islamisierung folglich auf eine bevorstehende düstere Zukunft, der es entgegenzusteuern gilt.
Der Islam ist dabei gleichzeitig Akteur und passive Masse. Als Akteur besitzt er gewissermaßen autonome Kräfte, die – vom Bösen getrieben – auf die Eroberung der Welt zusteuern: „In Islamophobic literature, we encounter an ‚Islam‘ that walks, talks, commands, oppresses, hates, deceives, conspires, wages war, expands, and retracts“ (Mattias Gardell zit. n. Hafez 2019: 203). Als passive Masse bleibt der Islam gegenüber einem als säkularisiert und progressiv imaginierten Christentum zugleich träge und rückwärtsgewandt an Ort und Stelle stehen.
Die hastige Verknüpfung von Flucht, Migration und Islamisierung wird häufig auch von Bewegungen wie der Neuen Rechten und den Identitären bemüht (vgl. Pfeiffer 2018). Ähnlich wie die AfD beanspruchen auch diese Kreise, möglichst nicht als Rassist:innen abqualifiziert zu werden. Um weite Teile der Bevölkerung für ihre Anliegen zu gewinnen, inszenieren sie sich sogar auch mal gern als antirassistisch. Mit dem Slogan „Wir lieben das Fremde – in der Fremde“ propagieren sie einen ‚Ethnopluralismus‘ entlang nationaler Grenzen: „Fremde Ethnien“ sollen mit dem Recht auf Selbstbestimmung fein säuberlich voneinander getrennt, vor allem aber sollen sie ‚uns‘ vom Leib gehalten werden (ebd.). Beim Stichwort Islamisierung wird der Ton häufig gleichsam rauer. Mit Slogans wie „Islamisierung? Nicht mit uns!“ und unkommentiert eingeworfenen Jahreszahlen wie 732, 1529, 1571 und 1683 beschwören solche Bewegungen Erinnerungen an islamische Eroberungen herauf. Mit Aktionen wie der Besetzung einer Moschee in der in diesem Zusammenhang symbolträchtigen Stadt Poitier im Jahr 2012 als Zeichen der ‚Verteidigung des Abendlandes‘ zeigte die Identitäre Bewegung außerdem, dass sie durchaus zu Taten schreitet, die über beleidigende, rassistische Sprechakte hinausgehen (ebd.: 49f.).
Die heraufbeschworene Gefahr der Islamisierung ist hierbei zugleich mit der Rhetorik der Überfremdung, der unbefugten Landnahme und damit auch mit territorialen Erstansprüchen verbunden. Islamisierung enthält also neben der zeitlichen auch eine räumliche Dimension: Ein nationaler Raum wird als homogen und als von einem als äußerlich empfundenen Anderen verunreinigt gedacht. Dieser Andere, mag er auch noch so lange unter uns verweilt haben, gilt als übergriffig und minderwertig zugleich. Der beanspruchte Raum muss also geschützt werden, z.B. indem Islamisierung beschworen und damit diskursiv eine Grenze gezogen wird.
Genau hier liegt auch die Schnittstelle zum Mainstream oder zur sogenannten politischen ‚Mitte‘. Die Angst vor einer Unterwanderung durch Islamisierung scheint in der Bevölkerung recht verbreitet zu sein.1 Es wäre also verkürzt, den Diskurs über die Islamisierung allein am rechten Rand zu verorten. Das Diskursrepertoire von Pegida & Co kommt nicht aus dem Nichts. Die Islamisierungsfurcht wird letztlich nicht nur mit jedem Terroranschlag genährt, der im Namen des Islams verübt wird. Sie findet auch Widerhall, wenn mittige Politiker:innen Pegida ein Ohr leihen (wie etwa der ehemalige Vizekanzler und SPD-Politiker Sigmar Gabriel) und bekunden, die ‚Sorgen und Ängste‘ dieser Bürger:innen müssten ernstgenommen werden. Ein Resonanzraum entsteht aber auch, wenn Politiker:innen die Radikalität solcher Bewegungen kritisieren, im nächsten Atemzug aber „Migration als die Mutter aller Probleme“ identifizieren (Horst Seehofer, CSU)2 oder wenn sie die Islamfeindlichkeit von Pegida & Co anprangern, zugleich aber behaupten, der Islam stelle eine „ernstzunehmende Herausforderung“ für Deutschland dar (Thomas de Maizière, CDU, zit. n. Gür-Şeker 2018: 22) oder gehöre eigentlich gar nicht zu Deutschland (vgl. Spenlen 2015). Auch mit solchen Aussagen wird der Islam symbolisch an die Außengrenzen der Nation verbannt und zugleich aus der ‚christlich-abendländischen‘ oder neuerdings ‚christlich-jüdischen‘ Erzählung Europas herausgeschrieben. Auch wenn Politiker:innen Flucht und Migration stets mit Krisen- und Belastbarkeitsrhetorik versehen, befeuern sie damit nicht nur Bedrohungsszenarien. Sie sichern auch die nationalstaatliche Hoheit über das Grenzregime und tragen das Narrativ vom Privileg der zuerst Dagewesenen weiter.
Bedenkenswert ist außerdem, dass die Rede vom ‚Wir-müssen-die-Sorgen-und-Ängste-der-Bürger-ernstnehmen‘ im Zusammenhang mit Pegida erst abebbte, als sich diese Bewegung nicht mehr nur gegen den Islam, sondern auch offen gegen das politische Establishment richtete und Politiker:innen wie Angela Merkel zu ihren Feindbildern erklärte. Derya Gür-Şeker (2018) beobachtet in ihrer Medienanalyse zur Rezeption von Pegida in Deutschland entsprechend eine allgemeine Kehrtwende. Politiker:innen verfrachteten den ‚besorgten Bürger‘ erst dann an den äußeren rechten Rand, als Pegida begann, die ‚Wir sind das Volk‘-Formel mit dem ‚Wir sind der Staat‘-Anspruch zu verknüpfen (ebd.: 225).