Generationskonzepte vor 1945
Wissenschaftliche Bemühungen, Generationen konzeptuell zu fassen, sind zahlreich und haben eine lange Geschichte (Parnes/Vedder/Willer 2008). Im sozialwissenschaftlichen Feld, das für die Deutung von Migrationsprozessen besondere Bedeutung besitzt, zeigt sich seit dem 20. Jahrhundert ein zunehmendes Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Generationskonzepten. Nennen möchte ich zum einen das an politischer Zeitgenossenschaft orientierte Generationskonzept in Anlehnung an Karl Mannheim, das bevorzugt in historischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Studien rezipiert wird (Mannheim 1928). Es unterstellt eine „dauerhafte und gleichartige Wirkung von Sozialisationsbedingungen“ (Jureit 2012: 352) und kann so in Verbindung zu Vorstellungen von „kollektiver Identität“ stehen (Niethammer 2003).
Ein stärker vertikales, genealogisches Generationskonzept findet insbesondere in demografischen, pädagogischen und psychoanalytischen Disziplinen Verwendung (Jureit 2012: 354). Dabei zeigen sich Differenzierungen zwischen einem genealogischen Generationskonzept im engeren Sinne, das mit „Vorstellungen von Herkunft, Abstammung und Reproduktion assoziiert“ (ebd.) ist, und einem, das die soziale Formation der Familie mit ihren „Sozialisations-, Tradierungs- und Erziehungsleistungen“ (ebd.: 365) in den Fokus nimmt (Reulecke 2003: VIII) und am geeignetsten ist, familiale Generationskonzepte zu beschreiben. Von Interesse sind diese unterschiedlichen Generationskonzepte, weil sie mehr oder weniger explizit jenen sozialwissenschaftlichen Studien zugrunde lagen, die zur Karriere des Begriffs der ‚zweiten Generation‘ beitrugen, und weil sie ihren Weg in den politischen Sprachgebrauch sowie in die Selbstbeschreibungen von Migrantinnen und Migranten fanden.
In den USA als ‚klassischem‘ Einwanderungsland prägten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts statistische Berichte, wissenschaftliche Studien und politische Reden den Begriff second generation. Assoziiert wurde er mit besseren Chancen im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt. Die als second generation adressierte Bevölkerungsgruppe wurde deutlich der Erwartungshaltung zur Assimilation bzw. americanization ausgesetzt. Dabei wurden einige der frühen wissenschaftlichen Texte zur second generation von Autorinnen und Autoren verfasst, die selbst zu dieser Bevölkerungsgruppe zählten (Sleszynski 1921; Roucek 1934). Allerdings kam es auch zu ethnischen Differenzziehungen zwischen früher Eingewanderten aus Großbritannien, Irland, Deutschland und Skandinavien und später Eingewanderten aus Italien oder Osteuropa (Portes/Rumbaut 2014: 7-9). Die Begriffsverwendung second generation hielt sich bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und bezog sich auf „children of foreign-born parents“ bzw. „U.S.-born children of immigrants“ (ebd. 2001: 19). Mit dem Verweis auf Geburt und Eltern war ein dezidiert genealogisches Generationskonzept verbunden, das ethnisierende Wirkung besaß, auch wenn die Betroffenen selbst über keine eigene Migrationserfahrung verfügten.
Für Deutschland kam es vor 1945 zu keiner vergleichbaren Begriffsprägung. Dies lag sowohl an der anhaltenden Auswanderung nach Übersee als auch daran, dass im Kaiserreich und in der Weimarer Republik überwiegend saisonal beschäftigte Arbeitskräfte und dann in der Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nach Deutschland kamen. Die zunächst als dauerhafter angesehene polnische Zuwanderung ins Ruhrgebiet kam um 1918 durch Rückwanderungen in den neuen polnischen Staat und durch Weiterwanderungen nach Frankreich zum Erliegen. In der Weimarer Republik zogen Grenzverschiebungen und staatliche Neuordnungen in Mitteleuropa zwar eine umfangreiche Einwanderung nach sich, doch kehrte sich diese demografische Entwicklung schon in der Weltwirtschaftskrise und unter der NS-Verfolgungspolitik wieder in eine verstärkte Emigration aus Deutschland um. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges wurde dann damit begonnen, durch angeordnete Umsiedlungen in das ‚Reich‘ eine neue Bevölkerungsgruppe zu privilegieren, die ‚Volksdeutschen‘, die aus politischen Gründen als zugehörig und dadurch zumindest formal nicht als ethnisch anders markiert wurden.